... industrial music for industrial people ...

von Jochen Kleinhenz, Test Card: Pop und Destruktion; Nummer 1, September 1995, p. 95

Ein weiterer interessanter Vertreter der zweiten Industrial-Generation ist der Exil-Amerikaner John Duncan. Seine Klanglandschaften bleiben weithin geprägt von einer gewissen Verunsicherung, der sich der Hörer bei solchen Alben wie KLAAR oder RIVER IN FLAMES ausgesetzt sieht. Hier schimmert immer wieder akustische Gewalt als scheinbar doch letztes probates Mittel durch, die Widersprüche der modernen Gesellschaft in irgendeiner Art und Weise auszudrücken. Nach einer Solo-Performance im Frankfurter Büro des Selektion-Labels erzählte Duncan freimütig über seine Erfahrungen mit Nekrophilie (was nach seiner Aussage auch entscheidender Grund war, Amerika, "das Land der unbegrenzten Möglichkeiten", zu verlassen).

Extreme Körpererfahrungen nehmen eine zentrale Position in seinem Werk ein - am unzweideutigsten dargestellt im Booklet zu der CD RIVER IN FLAMES, wo zwei in Japan aufgenommene Fotographien gegenübergestellt werden: hier die anonyme, geschlechtlose Menschenmasse in der U-Bahn, dort die (zugegeben äußerst extreme Form der) Rückgewinnung von Körperlichkeit und Intimität im Sexspiel - zwei Männer und eine Frau beim Faustfick.

IF YOU CAN'T HANDLE YOURSELF THEN YOU'RE LOST, YOU'VE HAD IT, THERE'S NOTHING YOU CAN DO. IT'S AS SIMPLE AS THAT. (Textstelle im Booklet)

Heavy Use und Kicks

von Christian Schröder und M. Behrens, ROGUE Nummer 30, August 27, 1992

[John] Duncan konzipierte in den Achtziger Jahren in Japan und seit 1991 in Holland mehrere experimentelle Radio- und Fernsehsendungen (so zum Beispiel eine Sendung, während der er bei abgeschaltetem Sender nachts aufgenomene Phantom-Stimmen tagsüber auf der selben Frequenz sendete). Was man am ehesten von John Duncan kennen kann, ist seine Musik: sie ist eigentlich gar nicht als 'Musik' begreifbar, da es dabei hauptsächlich um in Klang gefa§te Kommentare zu unserer elektomagnetischen Realität geht; die 'Musik' hat sich selbst, vielmehr ihre Wirkung zum Thema, auf einer höheren Ebene. Es ist für John Duncan wichtig, die Verzerrungen eines (idealen) Signals durch die diesem widerfahrenden Störungen zu zeigen. Er benutzt dafür Kurzwellensignale, die Frequenz des Empfängers zwischen zwei Sender eingestellt; die Störungen in den Signalen geschehen auf ihrem Weg durch die Ionosphäre aufgrund von Reflexionen, Wetter, elektromagnetischen Feldern etc.

Ein Anliegen des Albums CONTACT (eine Kollaboration mit Andrew McKenzie) ist, die Aufmerksamkeit auf die klanglichen Emissionen unserer technischen (Stadt) Welt zu lenken; die elektromagnetischen Felder, die durch Sendeanlagen und den Verkehr mit vorwiegend magnetischen Fahrzeugen entstehen, beeinflussen sowohl unsere Gesundheit, als auch, wie im Text zu 'Contact' behauptet wird, unser Verlangen nach einem Klangbild, das wir bevorzugen.

Sein neuestes Musikprojekt THE CRACKLING (zusammen mit Max Springer) basiert auf den akustischen Ereignissen im Teilchenbeschleuniger der Stanford University:

The Stanford accelerator is a straight line, roughly 3 km long, housed in a tunnel of prefab steel warehouse structures built end-to-end that stretch like enclosed railroad tracks out as far as you can see. It works by using a phased array of 120 Hz microwave drivers. The drivers, placed every ten meters, accelerate subatomic particles to near-lightspeed along parallel 'tracks' that finally curve to face each other and cause the particles to collide head-on. The collision chamber is a solid-steel cylinder that appears to be about 60 meters in diameter, with a 20-meter chamber cut in the center, supported by an 8-story steel frame originally designed to support a supertanker in drydock. This structure is at one end of a separate building that is large enough to park at least two pairs of 747's, one on top of the other. The temperature of the collision chamber at the moment of impact is about 3 billion degrees Kelvin, so the chamber is cooled by a cryogenic system that pumps liquid nitrogen.